Beschreibung
„Nu wol uf, ritter, ez ist tac!“ entführt Dich in die faszinierende Welt des von Wissenlo, einem geheimnisvollen Minnesänger, dessen Werk in der berühmten Manessischen Liederhandschrift verewigt ist. Von Wissenlo, dessen Name auf den Ortsnamen Wiesloch zurückgeht, bleibt ein Rätsel in der mittelalterlichen Dichtung. Keine Lebensspuren, nur die leidenschaftlichen Werke eines Meisters des Anti-Minnesangs, der die heimliche und verbotene Liebe thematisiert.
Geschichten verbotener Liebe
Kaum hatte sich von Frankreich her die Idee des hohen Minnesangs an den deutschen Höfen verbreitet, kam bereits eine Gegenbewegung auf. Eine besonders beliebte Gattung dieses “Gegensangs” war das “Tagelied”. Der Fokus liegt auf der erfüllten, jedoch gefährdeten Liebe – eine Konstellation, die den Rahmen für eine Vielzahl von möglichen Pointen und Wendungen bietet. Die in den Liedern dargestellte Liebe verkörpert das Konzept der êre, des Ansehens in der höfischen Gesellschaft, das durch die drohende Entdeckung bei Tagesanbruch gefährdet ist.
Der Kern der Sammlung „Nu wol uf, ritter, ez ist tac!“
Die hier vertonten Lieder zeigen den Wächter als Schlüsselfigur, der das Liebespaar vor dem drohenden Tageslicht warnt. Diese dramatische Situation wird im Dialog zwischen Dame und Wächter lebendig, während der Ritter überraschenderweise oft im Hintergrund bleibt. Die Lieder bieten nicht nur Einblicke in die höfischen Konventionen, sondern auch in die emotionale Welt der Beteiligten, geprägt von Trennungsschmerz und Sorge.
Neubelebung durch Melodien
Da die originalen Melodien verloren gegangen sind, wurden für „Nu wol uf, ritter, ez ist tac!“ neue, an historische Weisen angelehnte Melodien von Marc Lewon und Albrecht Haaf komponiert. Diese zeitgenössischen Kompositionen erwecken die mittelalterlichen Texte zu neuem Leben und ermöglichen eine authentische musikalische Darstellung, die das mittelalterliche Lyrikverständnis mit moderner musikalischer Interpretation verbindet.
Dein Zugang zur mittelalterlichen Musik
In „Nu wol uf, ritter, ez ist tac!“ findest Du eine Mischung aus sorgfältig recherchierten Texten und einfühlsam neu komponierten Melodien, die zusammen ein einzigartiges musikalisches Erlebnis schaffen. Die Texte sind nach der kritischen Edition von Carl von Kraus zitiert und bieten eine verlässliche Quelle für Studium und Aufführung. Die Einspielungen des Ensembles „Freiburger Spielleyt“ bereichern das Erlebnis und machen es möglich, diese selten gehörten Werke in voller Pracht zu genießen.
Entdecke „Nu wol uf, ritter, ez ist tac!“
Dieses Produkt ist ein Muss für jeden Liebhaber der mittelalterlichen Musik und Kultur. Durch die Neukompositionen der historischen Lieder wird eine Brücke geschlagen, die es ermöglicht, die emotionalen und kulturellen Tiefen des mittelalterlichen Minnesangs zu erleben. Lasse Dich von der Authentizität und dem künstlerischen Ausdruck dieser einzigartigen Edition verzaubern und füge sie noch heute Deiner Sammlung hinzu. Deine Unterstützung hilft nicht nur dabei, das Andenken an einen vergessenen Meister zu bewahren, sondern auch das kulturelle Erbe des mittelalterlichen Minnesangs lebendig zu halten.
Vorwort
Die hier vertonten Lieder werden in der berühmten „Manessischen Liederhandschrift“ einem „von Wissenlo“ zugeschrieben. Das deutet auf den Ortsnamen Wiesloch, dessen ursprüngliche Bedeutung „Wald, Platz der Sippe des Wezzo“ gewesen sein dürfte. Der Poet von Wissenlo ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Angehöriger dieses für das 12. und 13. Jahrhundert häufig bezeugten Geschlechts. Doch hat er offenbar – wie viele seiner zeitgenössischen Kollegen – keinerlei Lebensspuren hinterlassen. Selbst die Miniatur in der Manessischen Liederhandschrift, ein „Gesprächsbild“ – Dichter, Kind und Dame auf einer Bank – verweigert jede biographische Auskunft, und auch das dort abgebildete Wappen ist nicht authentisch.
Die überlieferten Lieder unseres Minnesängers sind keine typischen Lieder der „hohen“ Minne, sondern verkörpern etwas, das man als „Anti-Minnesang“ bezeichnen könnte. Hier wird erfüllte Liebe dargestellt: „heimliche“, „verbotene“ Liebe im Schutz der Nacht und unter der Obhut eines Wächters. Geschildert wird deshalb weniger das Glück der genossenen Liebe, sondern der bevorstehende Trennungsschmerz und die Sorge, beim anbrechenden Tag entdeckt zu werden. Denn auf dem Spiel steht das Ansehen in der höfischen Gesellschaft, die êre – ein Zentralbegriff des Mittelalters. Diese Liedart hat man „Tagelied“ oder „Wächterlied“ genannt. Es ist ein romanischer Import aus dem Altprovenzalischen des 11. Jahrhunderts.
Das „Personal“ der vier Lieder des von Wissenlo besteht aus Dame, Ritter und Wächter. Die ersten drei Lieder in der Zählung der Edition nach Kraus beinhalten überwiegend den Dialog zwischen Dame und Wächter. Der Ritter kommt hier nicht zu Wort, zudem ist der erzählende Part des Dichters gering. Anders in dem Lied „Ein ritter der het sînen lîp“ – es ist ganz epischer Bericht.
Allen Liedern gemeinsam ist der warme, unverfälschte, innige Sprachton – besonders in den emphatischen Reden der Dame – und in formaler Hinsicht die Unkompliziertheit der Strophenstruktur und der Reimverhältnisse. Man möge jedoch beachten, daß mittelalterliche Lyrik keine „Erlebnislyrik“ ist. Individuelle Erlebnisse oder Selbstdarstellungen werden nicht thematisiert. Mittelalterliche Lyrik ist „Rollenlyrik“, engagiertes Spiel mit beliebten Inhalten und Formen. Und darin scheint unser Wieslocher Minnesänger ein früher und bisher viel zu wenig beachteter Meister zu sein.
Überliefert sind die Tagelieder ohne Melodien in zwei frühen, von der Heidelberger Universitätsbibliothek verwahrten Sammelhandschriften. Einmal in der „Manessischen“ oder auch „Großen Heidelberger Liederhandschrift“, entstanden über einen längeren Zeitraum von ca. 1305-40 in Zürich: sechs Strophen. Zum andern in der „Kleinen Heidelberger Liederhandschrift“, entstanden um 1270-75 im Elsaß: zwei Strophen unter einem anderen Dichternamen und drei anonym überlieferte.
Manfred Stange
Zu den Vertonungen
Während von den romanischen Vorbildern der Minnesänger – den Trouvères und Trobadors – neben ihren Liedtexten auch zahlreiche Melodien überliefert sind, ist die Musik des Minnesangs weitestgehend verschollen, was leider auch für das Œuvre des von Wissenlo zutrifft. Zwar wurde in der Vergangenheit aufgrund der engen Verbindung der französischen Sänger mit den deutschen nach Kontrafakturen gesucht, d.h. nach Liedern, die von den Minnesängern unter Beibehaltung der Melodie nachgedichtet wurden, aber auch auf diesem Wege fand sich bisher keine historische Weise, die dem von Wissenlo zugeschrieben werden konnte.
Die dritte Möglichkeit jedoch, einen historischen Liedtext wieder erklingen zu lassen, ist die Neukomposition. So entstanden für diese Edition neue, an historischen Weisen orientierte Melodien.
Einige Details zu den Vorgehensweisen oder Besonderheiten bei den einzelnen Vertonungen werden im Anhang vom jeweiligen Verfasser erläutert. Auch die vollständigen Übersetzungen sind dort zu finden.
Die Kompositionen zu den Liedern des von Wissenlo entstanden im Auftrag der Stadt Wiesloch bei Heidelberg, die damit anläßlich der 1200-Jahr-Feierlichkeiten (anno 2001) ihrem „stadteigenen“ Minnesänger ein musikalisches Denkmal setzte. Die Melodien wurden im gleichen Zug durch das Ensemble „Freiburger Spielleyt“ (Early Music Freiburg) aufgenommen und sind als Maxi-Single-CD erhältlich.
Die mittelhochdeutschen Texte dieser Ausgabe werden, wenn nicht eine handschriftliche Quelle ausdrücklich angegeben ist, zitiert nach: Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts, hrsg. von Carl von Kraus, 2. Auflage, durchgesehen von Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978. – Die Übersetzungen und Kurzkommentare zu den Liedtexten des von Wissenlo im Anhang verfaßte Manfred Stange [MS].
Autor:in
Marc Lewon
Marc LewonMarc Lewon ist ein deutscher Musiker und Musikwissenschaftler, der sich auf die deutschsprachige Musik des Mittelalters spezialisiert hat. Er wurde 1972 in Frankfurt am Main geboren und hat Musikwissenschaften und Germanistik an der Universität Heidelberg studiert. Darüber hinaus hat er eine Ausbildung in Laute, Fidel und Gesang an der Schola Cantorum Basiliensis absolviert.
Als Musiker ist Marc Lewon als Lautenist und Fidelspieler in verschiedenen Ensembles tätig, die sich auf mittelalterliche und Renaissance-Musik spezialisiert haben. Er hat weltweit Konzerte gegeben und an zahlreichen CD-Produktionen und Rundfunkaufnahmen mitgewirkt. Er ist auch Gründer und Leiter des Ensembles Leones.
Marc Lewon hat eine Lehrtätigkeit als Dozent für mittelalterliche Musik an verschiedenen Musikschulen und Universitäten ausgeübt. Er ist Mitbegründer und Leiter der Fortbildungsreihe “Frühe Musik der Hohen Stände und der Resonanzen der Musik des Mittelalters” an der Akademie Burg Fürsteneck.
In seiner Forschung beschäftigt sich Marc Lewon mit dem Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich und ist Teil eines internationalen Forschungsprojekts zur Laute im deutschsprachigen Raum.